[2] Der Unterschied zwischen Einem und Zwei und Allem

20.12.2021

Der Stein war mal viel größer. Die Hauptfrage dieses Kapitels behandelt die bestimmenden Faktoren einer Entität. Wie verändern Teilung und Verschmelzung die Entitäten? Ich gehe nicht davon aus, dass alles Seiende ein Individuum, im Sinne etwas unteilbaren, ist. Der Begriff Entität soll erst einmal als jedes existierende, geschlossene Wesen und (solange es nicht das gleiche ist auch) jeden existierenden, geschlossenen Gegenstand verstanden werden.

Unser Stein wurde in einem Stern flüssiger als Wasser geboren. Seine Mutter schleuderte ihn mit seinen Verwandten am Ende ihres Lebens in die weite Kälte hinaus. Erschrocken erstarrten sie zu Stein als das Licht verschwand. Er und Teile seiner Familie bildeten einen engen Haufen. Es war eine dunkle Zeit. Wenig geschah. Das Konglomerat kam an Müttern, die in der Blüte ihres Lebens standen, und deren kugelrunden Freunden vorbei. Es zog die Familie zu den Spiralen, aber die Gelegenheit adoptiert zu werden war zu weit weg, um sie zu ergreifen. Nach Jahren des Lichtes in der Finsternis trafen sie jemand unbekanntes. Er war auf so viele Weisen wie sie. Diese Zufallsbegegnung brachte aber keine erhofften Kontakte. Der Andere wollte schnell weiter und rempelte die Familie so hart und unhöflich an, dass diese bis zum Kern zersplittert wurde. Mit wenigen seiner Brüder und Schwestern hielten die Bünde der Herkunft. Die ziellose Reise ging weiter und sollte bald ein geselliges und einsames Ende finden. Ein riesiger Stein war in Sicht. Und wie es der Zufall wollte, steuerten sie direkt auf diesen zu. Der Stein erstrahlte wie wenige Steine zuvor. Auf der einen Seite leuchtete er Blau, Weiß, Braun und Grün. Auf der anderen Schwarz gespickt mit tausenden hellen Punkten. Die Ankunft war heiß. Seine Geschwister wurden bei lebendigen Leib verbrannt. Er landete unsanft und war nun allein. Neben ihm fanden sich andere seiner Art, die ihn anschauten wie einen Außerirdischen. Die Fremden waren verschlossen. Er war anders, aber doch auch so gleich. Nur zweiteres wurde nicht gesehen. Zumindest nicht von allen Einheimischen. Wesen der Bewegung nahmen ihn und packten ihn in eine Box in einer Box. Er wurde von Hand zu Hand gereicht. Bis er zu Boden fiel. Dort traten sie ihn unbeabsichtigt mit Füßen zu dem Ort wo du ihn vielleicht fandest.

Wie erkennen wir, ob eine Entität eine Entität ist? Ist ein Paket eine Entität oder zwei. Ist es ein Karton plus oder mit Inhalt? Die Schale gehört doch wohl zum Apfel, sowie die Haut zur Schlange, bis zur Häutung. Solange eine stabile Verbindung sichtbar ist, stellt sich die Frage kaum. Die Blätter bilden mit dem Baum eine Entität. Der Schwanz und die Echse sind eins. Zwei nebeneinander liegende Steine sind zwei. Ein Bus und deren angeschnallter Busfahrer sind nicht getrennt. Ebenso wie unser menschlicher Körper und unser Wille, sonst würdest du das hier wohl kaum lesen. Genau wie alles in Bewegung ist, ist auch jede Entität zusammengesetzt. Nicht die Gleichheit der Teile macht die Entität, sondern die Verbindung bzw. Trennung. Aber welche Verbindungen konstituiert eine Entität und welche Trennung löst eine Entität auf? Es gibt mehrere denkbare Möglichkeiten. Erstens könnte eine Entität eine Entität sein solange wir Menschen sie als solche definieren. Ein Stein ist ein Stein und eine Steinschleuder ist eine Steinschleuder, weil unsere Wahrnehmung die sprachlichen Konventionen so formten. Damit verschiebt sich das Problem aber auf unsere Wahrnehmung. Zweitens könnte eine Entität eine Entität sein, weil wir sie als ungetrennt wahrnehmen. Im Idealfall definieren wir eine Entität als solche, weil wir diese als solche erkennen, weil drittens diese materiell wirklich eine solche ist. Also bevor unsere Wahrnehmung zum Problem werden soll, ist es erst einmal von unserer menschlichen Sicht unabhängig wichtig ob sich in dem Seienden überhaupt so etwas eindeutiges wie eine Entität befindet. Der falsche Weg wäre jetzt zu definieren, was eine Entität ausmacht und dann zu schauen, ob wir so etwas finden. Von der Wahrnehmung und Erfahrung unabhängig könnte eine logische Schlussfolgerung fruchtbar sein. Bewegung ist die Ursache allen Seins. Auch wenn wir die Bewegung einer Entität halbieren und halbieren und halbieren und so weiter, bleibt sie Bewegung. Aber sobald wir den Zahlenwert ''1'' halbieren und halbieren und halbieren und so weiter, hört sie auf sich selbst zu sein. Ist es logisch zu schlussfolgern, dass eine kosmische Kraft ewig unveränderlich bleibt, während eine Entität teilbar ist? Somit wäre eine Entität etwas Verbundenes, welches sobald die entscheidenden Verbindungen aufgelöst werden, aufhört eine Entität zu sein. Einen Organismus, um der Vorstellung zu helfen, meine ich genauer gesagt einen lebenden, körperlichen Menschen, erkenne wir klar als Entität. Eine Entität wäre dann, und hier kommen wir wieder zur Definition

Definition (Entität): Etwas teilbares Ungeteiltes.

Ein Organismus, wie zum Beispiel ein Regenwurm, ist bestimmt durch seine Organe/Teile, kann geteilt werden und hört auf eine Entität zu sein, falls es mindestens halbiert wird. Eine Entität ist deshalb mehr als die Summe ihrer Teile weil diese zusätzlich eine konstituierende Verbindung besitzen.

Meine Definition ist problematisch weil sie dennoch mehrere Möglichkeiten zulässt. Schließt meine Auffassung aus, dass die Realität als solche eine Entität ist, oder das die einzig wahren Entitäten Atome sind? Dennoch werde ich mit dieser breiten Auffassung als heuristisches Mittel weitergehen, denn es ist schon viel gewonnen, wenn wir einsehen, dass nicht nur wir Homo Sapiens Entitäten bilden können. Nein, es ist erkenntnisfördern, wenn wir die Überschätzung unserer Bedeutung als Entitäten sogar verwerfen und sie lieber erst einmal unterschätzen, ohne jedoch ein göttliches Wesen als Ausgleich anzunehmen.

Eine weitere interessante Frage in diesem Kontext will ich noch ausführen. Welche Eigenschaften weist eine Verbindung auf, die Teile zu einer Entität verbindet? Mehrere Merkmale finden sich in Entitäten. Eine Entität ist mehr durch die Umrandung formiert als durch einen besonderen Kern. So ist ein Stein oder ein Stern an der Oberfläche anders als innen und die Oberfläche ergibt sich aus dem Inneren, aber der Rand entscheidet über die Form einer Entität. Der Rand zeigt die Grenze einer Entität und macht gleichzeitig diese Grenze. Dieses umschließende Moment ist eine verbindende Eigenschaft der Entitäten. Generell sind Entitäten formende Verbindungen von ziehendem Charakter. Sei es nun Gravitation oder andere Kräfte, eine Entität, die sich nicht selbst anzieht, fällt auseinander. Ein Luftballon wird durch die Tangenten des Gummis zusammengehalten. Vom Ziehen ließe sich auch das Wachsen oder Verschmelzen von Entitäten erklären. Denn eine Entität kann externe Teile anziehen und aufnehmen. Wenn der Zug und der Rand sich annähern und ähneln, bekommt eine Entität etwas notwendig dazu. Ich nutze einen Begriff aus der Musik. Die Harmonie oder Gleichschwingung stabilisiert eine Entität.

Die Grenzen der Entitäten sind und bleiben weich. Das ist aber keine große Schwäche für mein Vorhaben, eine holistische Moral zu finden. Im Gegenteil würde ich sogar behaupten, dass eine uneindeutige Auffassung der Realität am nächsten kommt. Gerade der Rand eines Wesen ist in den meisten Fällen gradueller oder poröser als wir wahrnehmen. So ist die Frage wo der Rand der Erde liegt, sehr schwer genau zu bestimmen. Ist die Erdkruste der Abschluss oder welcher Grad unserer Atmosphäre hat so wenige Teile, dass es der Rand ist. Und wenn du deinen Blick vom Himmel zu der Grenze deines Körpers richtest, wirst du erst ein paar Löcher finden. Je mehr du die Kleinigkeiten deiner Haut erforscht, desto mehr wirst du finden wie durchlässig deine letzte Schicht doch ist. Das Leben ist wie ein Schwamm, der die Wellen der Umwelt aufsaugt, geknautscht durch die Konflikte aber auch immer wieder zurück gibt. Das Geben steht dem Nehmen in nichts nach. Eine Wolke ist am Rand so zart, dass der Übergang nur in der Welt einer Engelsmücke ein Ufer bildet. Und wo wir gerade in himmlischen Sphären kreisen, ist Licht nicht grenzenlos? Ein Wesen aus Licht kann nie sein, denn die Ewigkeit ist nur eins.

Wie es auf verschiedenen Ebenen Ruhe und Unruhe geben kann, kann es mehrere Entitäten in einer Entität geben. Eine Entität ist ein Dazwischen sein. Uff. Auch die Ränder und Kerne der Teile von Entitäten sind hin und wieder überschneidend und grenzenlos ohne ewig zu sein. Die Verbundenheit über Entitäten hinweg ist wichtig und kann die Grundlage werden für eine umfassende Moral. Denn die verschmolzenen Ränder der Entitäten formen ein Geflecht aus Ansprüchen. Letzteres wird in den nächsten Kapiteln noch zu zeigen sein. Eins Einzelnes kann nur eins sein, wenn etwas anderes existiert, sonst wäre eins alles. Zwei ist eine der vielen Stufen zwischen Einem und Allem. Ich würde sagen, das zwei die wichtigste Stufe ist, denn der Zwei ist ein fundamentaler Unterschied zu Einem eingepflanzt: eine scheinbare Trennung. Bei Drei und Vier entstehen neue Muster der Beziehungen, aber die Trennung und Verbundenheit ähneln sich formal. Alles ist alles Seiende plus das Dazwischen. Weder das Eine noch Alles hat einen besonderen moralischen Anspruch erst in der Entzweiung entsteht das Sollen, welches so zentral ist für eine Moral, dass ich erst noch das zugrunde liegende Wollen zum Problem machen muss.

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